Reform: Anforderungen an Betreuungsvereine

Die Betreuungsrechts- Reform, die zum 1.1.2023 in Kraft tritt, soll das Selbstbestimmungsrecht von 1,3 Millionen betroffenen Menschen in Deutschland stärken.

Eine Veränderung in einem komplexen Systems wie dem Betreuungsrecht kann nur gelingen, wenn begleitend dazu ein Konzept erarbeitet wird, mit dem die ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer ermächtigt werden, diese Veränderungen in ihr Handeln umzusetzen:

* Die Veränderung im Paragrafenwerk bewirkt allein noch keinen Zuwachs
   an Selbstbestimmungs- Möglichkeiten der betreuten Menschen.
* Sie bewirkt auch noch keine Änderung im Verhalten der ehrenamtlich Betreuenden. 
   Und falls diese ihr Verhalten nur aufgrund der gesetzlichen Vorgaben doch ändern sollten,
   dann ist diese Veränderung ohne eine Reflexion über die eigene Sinngebung und die eigene
   Einstellung zum Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen kein wirklicher Fortschritt.

Wozu dies schlimmstenfalls führt ist mir als Mitarbeiter eines Betreuungsvereins im Zusammenhang mit der Umsetzung des Bundesteilhabe- Gesetzes deutlich geworden.
Gegen Ende einer gut besuchten Infoveranstaltung zum BTHG, in der die Referentin dargestellt hatte, dass betroffene Menschen im Sinne des Selbstbestimmungsgedankens in Zukunft regelmäßig ein eigenes Girokonto führen sollten, freilich verbunden mit einer gewissen Gefahr von gelegentlichen Konto- Überziehungen, fragte eine unserer langjährig erfahrenen Betreuerinnen nach, ob es nicht möglich sei, diesem Risiko zu begegnen, indem sie vorbeugend bei all ihren Betreuten einen Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge erwirken würde.

Ob die Reform zu ähnlich albernen Auswirkungen führen oder aber ein Fortschritt im Sinne der betroffenen Menschen wird hängt davon ab, ob ehrenamtliche Betreuer den Sinn der geplanten Veränderungen bejahen und bereit sind, diese in ihr Betreuer- Handeln umzusetzen.

Nun lehnen die meisten Menschen Veränderungen in der Organisationsstruktur, die ohne ihre Beteiligung zustande gekommen sind, aber ab. Die Vorstellung, eine tiefgreifende Veränderung allein durch Gesetzesänderung bewirken zu können entspricht einer Strategie, die man im Bereich Organisationsentwicklung "Bombenwurf- Konzept" nennt:
Man verordnet einen Strategiewandel, ohne die Beteiligten zu Trägern des Veränderungsvorhabens zu machen und ohne sich darum zu kümmern, ob diese die neuen Konzepte wirklich verstanden und verinnerlicht haben.

"Man hört häufig, dass Menschen Veränderungen nicht mögen. Die Wahrheit ist, dass Menschen kein Problem mit Veränderungen haben, die sie selbst mitgestaltet haben, aber sie hassen Veränderungen, die ihnen aufgezwungen werden."
Henri Lipmanowicz: Vorwort zu "Liberating Structures: Entscheidungsfindung revolutionieren"
 


Betreuungsvereine haben die Aufgabe, die betreuenden Menschen zu Trägern der angestrebten Entwicklung zu machen und sie durch methodische Unterstützung zu befähigen, sich im Rahmen ihres Verantwortungshorizonts für die zukünftigen Ziele auszusprechen..
Das erfordert zumindest in Ansätzen die Vermittlung einiger Prinzipien dieser Entwicklung;
* Selbstbestimmungsrecht
* UN- Behindertenrechts- Konvention
* Unterstützte Entscheidungsfindung

In dem Zusammenhang sollten dann endlich auch einmal die Grundwerte unseres gemeinsamen Engagements thematisiert werden:
Was ist unser historisches Selbstverständnis?
Was ist unser Identität?
Welchen Grundwerten und welchem Leitbild fühlen wir uns verpflichtet?
Welche gesellschaftliche Aufgabe erfüllen wir?
 

 


Wir könnten die Reform nutzen für klassische Werte- Arbeit durch folgende Fragen:

* Welche Kern- Ideen liegen unserem ehrenamtlichen Engagement zugrunde?
* Wie erklären wir unser Engagement gegenüber der Außenwelt
   (Heim, Psychiarie, Hausarzt, Familie,...)?
* Wie wollen wir unserer Ressourcen und Potentiale nutzen, um Veränderungen anzustossen?

Sinnvolle Werte- Arbeit besteht aus Interventionen auf all diesen Ebenen;
diese Impulse würden von Ehrenamtlichen neugierig aufgegriffen; und uns davor bewahren, mittelfristig nur noch der Reparaturbetrieb eines kaputtgesparten Sozialsystems zu sein
 

Solch ein Wandlungsprozess erfordert aber auch Unterstützung zum Umgang mit den psychosozialen Widerständen:

Die Motive für das bisherige Engagement in Erinnerung rufen:
„Was war mein Antrieb bei der ursprünglichen Bereitschaft zur Initiative im Betreuungsverein?

Korrektur bisheriger Rollenauffassungen ermöglichen:
„Wenn stellvertretendes Handeln die Ausnahme werden soll:
An welchen Leitprinzipien kann ich mich stattdessen orientieren?

Selbstzweifel aufgreifen:
„Werde ich den Anforderungen an meine künftige Funktion entsprechen können?“

 

"Menschen brauchen gesellschaftlich bedeutsame Ziele, wenn es darum gehen soll, ihre Energie und individuelle Stärken vorbehaltlos einzusetzen"
Roswitha Vesper, Holger Scholz: Facilitation 


Was Betreuungsvereine im Vorfeld der Reform für Betreuer zur Verfügung stellen sollten:
Eine angeleitete Rückbesinnung auf die ursprünglichen Motive des Engagements
Eine Einladung zur Neuorientierung
Ein Ziel: Wohin soll es gehen?
Einen Raum, um Zweifel anzusprechen
Eine Leitung die Orientierung gibt
Die Möglichkeit, Perspektiven von Anderen zu hören
Zeit, um diese Modelle mit den eigenen abzugleichen
Wertschätzung für das, was bisher geleistet wurde
Ein attraktives Ziel für „die Zeit danach“
Eine Idee von einem 1. Schritt
Platz für das eigene Engagement
Wertschätzung: Wir brauchen Dich mit Deiner Besonderheit
Raum zum Ausprobieren

Diesen Raum ermöglichen wir mit dem Seminar: 

"Sich treu bleiben in Veränderungsprozessen:
Ein World-Café"

www.lebendiges-ehrenamt.de/reform-ein-world-cafe/